Gestern waren wir auf dem Eifeler Kräutertag in Nettersheim. Eigentlich sind wir wegen einer Kräuterwanderung hingefahren, aber da waren einfach zu viele Leute dabei. Wir haben uns dann die Zeit am Naturzentrum Eifel vertrieben, mit Pflanzenständen, Wildkräuterpizza (s.u.) und Kräutermärchen.
Mir ist an diesem Tag noch einmal der (Wahrnehmungs-)Unterschied von Kraut und Kraut aufgefallen. Also von Unkraut und Wildkraut. Fast könnte man meinen, dass früher alles „Unkraut“ war, was heute „Wildkraut“ ist. Das stimmt natürlich nicht ganz, denn nicht jedes (Un-)Kraut ist essbar (was aber Definitionsbestandteil von Wildkraut ist), und natürlich gibt es auch weiterhin unerwünschte Pflanzen (was schlicht und einfach die Umschreibung für Unkraut ist). Trotzdem: ich erinnere mich noch, dass wir früher im Garten immer Unkraut gejätet haben. Und das waren genau die Kräuter, die für uns heute ganz und gar nicht Unkraut sind: Brennessel, Löwenzahn oder Vogelmiere.
Auf dem Kräutertag gab es an einem Stand Infos zu Kräuterspiralen. Und auch da fiel mir plötzlich ein früher/heute-Unterschied auf. Ich finde Kräuterspiralen nicht nur ökologisch interessant, sondern auch ästhetisch ansprechend. Und wenn ich hobbymäßig einmal ein Handwerk erlernen sollte (was allerdings eher unwahrscheinlich ist), wäre es definitiv Trockenmaurern. Das erste Mal, das ich von einer Kräuterspirale gehört habe, war in der Mittelstufe auf dem Gymnasium. Wir hatten einen neuen Bio- und Chemielehrer, Herrn N., und er baute vor der Schule eine Kräuterspirale. Das war irgendwie ein Projekt und wir fanden das alle eher peinlich. Denn warum muss man um Schnittlauch und Petersilie (viel weiter reicht unser Kräuterhorizont noch nicht) so ein Bohei machen? Zudem: Herr N. war der erste richtige Öko, den wir leibhaftig kannten. Er trug Hemden, die vor sehr langer Zeit mal modisch waren, darüber trug er immer selbstgestrickte Pullunder, die zu keiner Zeit modisch waren. Als in Herford ein McDonalds aufmachte – das muss Ende der 80er gewesen sein – stellte er sich am Eröffnungstag vor den Laden und schenkte jedem Kunden einen Bio-Apfel. Auf eigene Kosten. Und auf eigene Verspottungsgefahr. Im Grunde war Herr N. eine verdammt coole Sau – sogar die einzige an der ganzen Schule. Nur sahen wir das damals ganz anders: Da war er halt der Gaga-Öko.
Herr N. hat auch einen unglaublich lebenspraktischen Chemie-Unterricht gemacht. Ich habe Chemie aber so bald es ging abgewählt. Wir hatten eine klare Aufteilung bei den klassischen Naturwissenschaften: Die Jungs machten Physik (wegen Technik und Weltraum), die Mädchen Bio (wegen Blumen und Tiere) und Chemie machten nur eine Handvoll merkwürdiger Nerds (weswegen wusste keiner der Nicht-Nerds). Heute bedaure ich das. Denn sein Unterricht war nicht nur didaktisch gut (das konnte ich damals schon anerkennen!), sondern er war davon getrieben, uns die (Um-)Welt zu erklären. Wenn ich heute durch Blogs wie langsamer leben stöbere, ärgere ich mich wirklich, heute so ein Chemie-Depp zu sein.
Merkwürdig ist dabei, dass die 1980er Jahre doch genau jene Zeit waren, in der Umweltschutz das erste Mal ins gesellschaftliche Bewusstsein vordrang. Umweltschutz – der für mich auch damals schon wichtig war! – bestand aber vor allem darin, umweltfreundlich(er)e Produkte zu kaufen: Spraydosen ohne FCKW, phosphatfreies Waschmittel, Frosch-Reiniger, Danke-Toilettenpapier und Recyclingpapier-Schulhefte. Damals bestand bürgerlich akzeptabler Umweltschutz darin, industriell hergestellte greenwashing-Konsumprodukte zu kaufen. Heute geht es viel mehr um Nachhaltigkeit (zumindest bei denen, denen dies wichtig ist) und Nachhaltigkeit ist in erster Linie ein Lebensstil – der gerade auch konsumgüterkritisch ist.
Auch wenn die Unterschiede zwischen Unkraut/Wildkraut oder Kräuterspirale doof/toll vielleicht ziemlich banal wirken, mir ist gestern einfach noch einmal klar geworden, wie sehr sich meine Wahrnehmung verändert hat. Und dass wir gesellschaftlich – so glaube ich, hoffe ich – heute doch in Sachen Nachhatigkeit ein gutes Stückchen weiter gekommen sind.
Zurück zum Eifler Kräutertag: Um den Nutzwert dieses Blogartikels noch etwas zu erhöhen, hier noch zwei einfache Wildkräuter-Ideen. Beides habe ich gestern probiert und kann es sehr empfehlen!
Wildkräuter-Pizza: Pizzateig + Tomatensugo. Belegen mit Bärlauch, Brennessel und Walnüssen. Und natürlich Mozarella. (Tipp: Der Teig muss dünn sein, weil sonst die Pizza zu lange im Ofen blieben muss und dann die Kräuter verbrennen. Kräuter vorher gut waschen, aber nicht weiter vorbehandeln, also kein Blanchieren).
Petersilien-Limonade: Wer es nicht probiert, glaubt nicht, dass sie wirklich schmeckt. Und sie ist ein absoluter Vitamin C-Schocker: Halber Liter Wasser, eine Zitrone (ohne Kerne), 8-10 Stängel Petersilie, Agavendicksaft in den Hochleistungsmixer des Vertrauens, 1 Minute auf höchster Stufe mixen. (Tipp: ein Teil des Wassers kann man durch Eiswürfel ersetzen, dann ist die Limo gleich kühl).
Sehr interessanter Artikel. Gerade deine Ausführungen zur Kräuterspirale sind sehr interessant. ich sehe das genau so und habe mir eine Kräuterspirale in den Garten gebaut.
Grüße
Thomas
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