Ich beschäftige mich selten mit Tod und Sterben (Ausnahmen bestätigen die Regel…). Das hat sicherlich damit zu tun, dass ich in einer Lebensphase stecke, die deutlich vom anderen Pol des Lebens her geprägt ist: nämlich von ihrem Anfgang. Aber ich mache mit bei der November-Blog-Aktion „Welches ist deine heimlichste Frage zu Tod & Sterben“ von Petra Schuseils und Annegret Zanders Totenhemd-Blog.
Es ist, zugegeben, nicht meine „heimlichste Frage“. Es ist eher eine sanfte Annäherung an das Thema. Und dazu eine recht schöne: Ich stelle mir die Frage, welche Lieder auf meiner eigenen Beerdigung gesungen werden sollen.
Schon seit langem habe ich in meinen Notizbüchern einen Platz, an dem ich mir solche Lieder notiere. Manchmal streiche ich eins der Lieder wieder durch oder füge ein anderes hinzu. Doch im Laufe der Zeit hat sich eine recht beständige Auswahl ergeben. Es sind sechs Lieder. Ich glaube, dass das für eine Beerdigung viel ist. Aber diesen Wunsch wird man mir ja wohl kaum abschlagen.
Und auch wenn die Blog-Leser/innen mit meiner Auswahl nicht mitgehen, regt dies vielleicht für eine eigene Beerdigungslieder-Liste an. Denn das Ganze ist auch eine schöne Übung, die eigene Frömmigkeit/Spiritualität mal auf den Punkt zu bringen. Und mal etwas anderes als die bekannte Löffel-Liste (die natürlich auch eine schöne Sache ist!).
Der Mond ist aufgegangen
Es ist eines der schönsten Kirchen-, Volks- und Abendlieder überhaupt: Der Mond ist aufgegangen von Matthias Claudius. Besonders wichtig ist mir die dritte Strophe:
Seht ihr den Mond dort stehen?
Er ist nur halb zu sehen,
Und ist doch rund und schön!
So sind wohl manche Sachen,
Die wir getrost belachen,
Weil unsre Augen sie nicht sehn. (3. Strophe)
Genauso ist es. Der Mond ist aufgegangen ist übrigens das erste Lied, das ich dem Hannoverjungen vorgesungen habe, unendliche Male. Das ist insofern besonders, da ich eigentlich nicht singe. Bei meinem ersten Sohn und diesem Lied habe ich dann angefangen, laut (vor) zu singen. Für einen Sangesunkundigen ist es schon eine etwas herausfordernde Melodieführung, aber es klappt wirklich gut.
Wechselnde Pfade
Wechselnde Pfade ist ein Pilgerlied, fester Bestandteil ist es zudem in der Schöpfungsspiritualitäts-Szene. Der Text ist ein baltischer Hausspruch, die Melodie von Gerhard Kronberg.
Ich finde es einfach (und) schön. Wenige Worte. Und eine steile theologische Aussage: Alles ist Gnade. So lange es mir gut geht, kann ich gut von Gnade singen. Aber singe ich es auch in gnadenlosen Zeiten? Ich weiß es nicht. Auf meiner Beerdigung wird’s aber genau passen.
Die Wirkung entfaltet es, wenn es mantrisch gesungen wird, also immer und immer wieder. Wer es einmal hören möchte, kann Jan Frerichs (von barfuss-und-wild) dabei lauschen.
The Servant Song (Brother, Sister Let Me Serve You)
Das Lied hat es mir angetan. Es hat etwas folkig Leichtes an sich und auch etwas Hymnenhaftes.
We are pilgrims on a journey,
We are family on the road.
We are here to help each other,
Walk the mile and bear the load. (2. Strophe)
Komponiert hat es der neuseeländische Songwriter Richard Gillard Mitte der 1970er Jahre. Im anglikanischen Kontext ist der Song wohl bekannt, bei uns so gut wie unbekannt. Den Text findet man in den Anmerkungen zu dem YouTube-Video.
Gott ist gegenwärtig
Neben Der Mond ist aufgegangen ein zweites klassisches Kirchenlied: Gott ist gegenwärtig von Gerhard Teerstegen.
Du durchdringest alles; lass dein schönstes Lichte,
Herr, berühren mein Gesichte.
Wie die zarten Blumen willig sich entfalten
und der Sonne stille halten,
lass mich so
still und froh
deine Strahlen fassen
und dich wirken lassen. (6. Strophe)
Teerstegen war reformierter Mystiker (mystischer Reformierter?), was an sich ja ein Oxymoron ist. Und genau deshalb soll er mit dabei sein, auf meiner Beerdigung.
Ein wirklich schönes Chorvideo habe ich hierzu leider nicht gefunden.
Ich bin Liebe
Noch ein Lied aus der Naturspiritualitätsszene, und wieder mantrisch zu singen: Ich bin Liebe. Es ist von Ursula Seghezzi, Text und Noten gibt es hier. Wer es hören möchte klickt auf dieser Seite auf „Lieder aus den Jahreszeitenritualen“ und findet es dann ungefähr in der Mitte der Liste.
Ich bin Liebe, fließe über.
Dadurch ändert die Welt die Gestalt.
Sie wird milde, wilde, weise,
leise, innig und still und dann alt.
Seitdem ich es drei-, viermal gehört habe, geht es mir nicht mehr aus dem Kopf. Ich finde es wunderschön. Was mich fasziniert: Ich bin Liebe. Also jeder. Jeder, der es singt. Und genauso ist es. Vielleicht muss man dies wirklich mantrisch singen, um es in sich einsickern zu lassen. Liebe ist nicht etwas Äußeres, das über einen kommt, sondern ich (jeder) bin Liebe. Sie kann nichts anderes als überfließen. Und dadurch ändert sie sogar die Welt, wie sie ist. Wahr.
Heute erheb ich mich
In der keltisch-christlichen Spiritualität ist das Schutzgebet des St. Patrick bekannt und bedeutend. Yotin hat nach Motiven dieses Gebets das Lied Heute erheb ich mich getextet.
Auch das kommt in meinen Beerdigungs-Kanon, als Schutzgesang für die Reise, auf der ich dann sein werde. Ich glaube, die Angehörigen singen bei einer Beerdigung nicht nur für sich (das ist das eher evangelisch-seelsorgerliche Verständnis einer Beerdigung), sondern sie singen eben auch für den Toten (vielleicht kann man das als katholisch-archaisches Verständnis bezeichnen). Ich stelle mir vor, dass dieses Lied mehrmals hintereinander gesungen wird – und sich die Menschen schließlich erheben und singend aus der Kapelle ausziehen. Mit einem Schutzgesang zu schließen und (weiter) zu gehen, jeder in seine Richtung (ich und sie), finde ich sehr schön.
Und eure Beerdingungslieder-Liste?
Ich freu mich, wenn diese kleine Übung aufgegriffen wird…
Hallo Martin,
was für eine wunderbare Liste! Die werde ich mir am Wochenende noch mal genauer anschauen und anhören. Danke dir sehr! Singen ist ja bei Beerdigungen so ne Sache. Viele meinen, sie könnten nicht singen, wenn sie traurig sind. In anderen Kulturen gehört das Singen elementar zur Trauerarbeit. Es trägt uns als Gemeinschaft. Chants und ganz Bekanntes sind da eine große Hilfe. Ach es gäbe noch mehr zu schreiben. Viel Spaß beim täglichen Lebenssingen und herzlichen Dank für deinen Beitrag im Totenhemd-Blog!
Herzlich
Annegret
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liebe annegret, merci! und ja, ihr habt da ein tolles blog. (ihr seid ja auch in meiner blogroll!)
ich bin kein großer sänger, gar nicht. aber mir werden lieder/songs/chants/choräle immer wichtiger, erstaunlich. sie bieten einen ganz anderen zugang, und sie „formatieren“ den menschen (der das singt bzw. hört) auch ganz anders, als es eine predigt, ein vortrag, eine bildungsveranstaltung etc. tut. das gefällt mir.
auf meiner facebook-seite hat jemand zu meinem beitrag geschrieben: „meinetwegen könnte auf meiner beerdigung auch nur gesungen werden“. auch ein interessanter gedanke. – martin
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Hallo Martin, meine Frau Barbara ist vor fünf Wochen an Krebs gestorben. Heute lese ich Deinen Beitrag zu den Beerdigungsliedern. Ich hatte auch 6 Lieder für die Beerdigung herausgesucht und dann auf drei (Ich lobe meinen Gott von ganzem Herzen, Wer nur den lieben Gott läßt walten, Da wohnt ein Sehnen tief in uns) reduziert. Ich nehme Deinen Beitrag als Impuls auf und werde meine Lieder heraussuchen. Danke für Deine tolle Arbeit in diesem Blog. Liebe Grüße aus Celle Peter
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Lieber Peter, das tut mir von Herzen leid, dass deine Frau gestorben ist. Ich wünsche dir viel Kraft und Gottes Segen. Und ihr auch Gottes Segen! Ihr werdet euch wiedersehen.
Ich freu mich, dass du diesen Artikel von mir magst. Er bedeutet mir auch viel.
Herzlichst, Martin
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Gute Auswahl! Gefällt mir spontan. Vielleicht sollte ich mich damit auch mal beschäftigen.
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Danke! Ja, auf jeden Fall. Es ist eine schöne Übung…! :)
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