Wir sind umgezogen und das Hannover-Kind geht in einen neuen Kindergarten. Und da haben wir erst gemerkt, wie sehr wir an dem alten hängen. Der größte Unterschied, an dem wir auch am meisten leiden, ist die Gestaltung. Oder sagen wir besser: die mangende Gestaltung des Ortes „Kindergarten“.
Der neue Kindergarten ist nigelnagelneu, aber steril. Eine Station in einer Kinderklinik sieht nicht viel anders aus. Die Innenräume sind nach neuestem Standard, jede Gruppe hat drei Räume: einen großen Raum, einen Nebenraum und einen Schlafraum. Es sind aber einfach drei miteinander verbundene Räume. Nichts gestaltet: keine Nischen, keine Podeste, keine (Kuschel-, Bau-, Werk-)Ecken. Das Außengelände besteht schlicht aus einer Fläche aus Sand und Rasen. Keine Erhebungen, keine Büsche, keine Bäume, keine Hecken, keine Spielgeräte (wobei es uns auf Letztere gar nicht so ankommt). Drinnen: einfach umbauter Raum. Draußen: einfach Fläche. Es gibt keinen erkennbaren Willen zur Gestaltung. Vielleicht auch einfach keine Ideen.
Und dies beides gab es in dem alten Kindergarten deutlich. Zwar kein großes Außengelände, aber genügend Ecken und Winkel, Bäume und Sträucher, um sich verstecken zu können. Zwar baulich auf altem Stand, aber viele gut gestaltete Details. Immer, wenn ich dort war, fühlte ich mich fast ein bisschen geborgen. Das hatte natürlich eine Menge Gründe (gute Erzieherinnen, ein stimmiges Konzept, etliche nette Leute und ein Sohn, der gerne dorthin geht), aber es hatte eben auch etwas mit der Gestaltung des Ortes zu tun.
Und da war noch etwas: Man betrat den Kindergarten durch ein schmiedeeisernes Tor, dann stand man in einem Hof, der auf allen vier Seiten von eingeschossigen Bungalowbauten umgeben war. Es gab etwas Grün in der Mitte (gut zum Verstecken) und eine runde Bank um eine Feuerstelle. Durch die Abgeschlossenheit hatte er der Hof etwas Klösterliches. Ich hatte immer das Gefühl, das hier ist ein guter Ort. Allein durch die Wirkung, die dieses Ensemble in mir auslöste.
Es sind im Grunde archetypische Bilder, die da in mir wirken: Tor und Schwelle, (Vor-)Hof oder Kloster. Und ich glaube mittlerweile, dass es nicht darum geht, einen Kindergarten „hübsch“ zu machen, sondern dass er als gestalteter Ort Bilder bereithält, die in der Seele etwas auslösen. Das sind einfache Bilder, irgendwie archaische, aber sie sind nicht beliebig und sie „passieren“ auch nicht einfach so. Sie müssen inszeniert werden. Sie werden unterbewusst verstanden, ganz ohne Kognition. Und ich vermute, dass sie auch milieuübergreifend verstanden werden, einfach weil sie anthropologische Bedürfnisse aufgreifen.
Eine entscheidende Erkenntnis dazu ist mir auf einem Outdoor-Seminar gekommen: Ich fragte mich, warum ich so gerne Outdoor mag, da ich doch eigentlich gar nicht der große Camping-Freund bin. Warum zieht es mich dann immer wieder zu solchen Seminaren? Ich schaute auf die Feuerstelle, drumherum waren Holzbohlen zum Sitzen, darüber ein ein großes Tarp gespannt. Auf einmal habe ich verstanden, dass mich vor allem das Bild anspricht, das ich da sehe: Kreis, Feuer, Platz, Schutz. Es war eben nicht nur eine Feuerstelle, es war ein archetypisches Bild, das da durch meine Augen in mich hineinfiel.
Ein anderes Seminar kommt mir in den Sinn: Ich war in der Schweiz in einem Seminarhaus, das von Menschen betrieben wurde, die sich in der Kunst der Inszenierung von Ort und Raum verstanden. Haus und Gelände waren verhältismäßig klein, aber bewusst und gekonnt angelegt. Draußen gab es einen Wasserhahn, um die Trinkflaschen auffüllen zu können. Dieser Wasserhahn ragte aus einem aus Beton gegossenen Kubus, das Ganze wirkte wie ein Brunnen. Es gab einen kreisförmigen Versammlungsplatz, außen mit Steinen eingefasst, um ihn zu begrenzen, in der Mitte schöne Steine, um zu zentrieren (und niemand musste eine Mitte gestalten, weil die Steine bereits Mitte genug sind). Es gab Sitzecken auf verschiedenen Ebenen, einige davon in Lauben. Dazwischen verschlungene Wege. Das Seminarmaterial wurde nicht in einem Abstellraum gelagert, sondern in einer Scheune. Und so weiter…
Um so älter ich werde, desto mehr ahne ich, wie wichtig Bilder sind, die die Seele ansprechen. Das Tor, der Brunnen, der Weg, der Kreis, der (Innen-)Hof, die Feuerstelle, oder auch das Tarp: All das sind nicht nur Dinge, sondern letztlich auch Bilder, die etwas Archetypisches in sich tragen. Sie stehen für Schutz, Geborgenheit oder Gemeinschaft. Solche Bilder, die in die Seele fallen und einsickern, können etwas Heilsames haben. Das ist vielleicht der Punkt, an dem sich (gute) Pädagogik und (gute) Religion berühren: kraftvolle Bilder bereitzuhalten und sie wirken zu lassen. Gerade der Protestantismus hat hierfür leider oft wenig Sinn – was ich sehr bedauere. An dieser Stelle war ich aber schon immer recht katholisch und werde es zunehmend mehr.
Die Kindergartengeschichte kann ich gut nachvollziehen. In meiner ehemaligen Gemeinde gab es eine „alte“ KiTa von ca 1970. Der haben wir zu Beginn meiner Tätigkeit ein wunderbares Gartengelände schenken können, so mit Totholzhecke u.v.a.m.
Da war es ähnlich, wie du es beschreibst – drinnen wie draußen.
Die KiTa wurde dann im Zuge des U3-Ausbaus umfänglich erweitert, der Gartenbereich pflegeleicht angepasst. Es ist immer noch ein riesiges und teils „wildes“ Außengelände, hat aber an Charme verloren. Innen ist aber die ganze Atmosphäre verändert, alles neu und – steril. Die „direkte“ Arbeit mit den Kindern ist einfacher, ja besser geworden (eine große Küche hat zB Vorteile und gute Sanitärräume auch). Aber für das „informelle“ Lernen durch den Ort, wie du es beschreibst, war die Erweiterung ein Verlust. Ist mir erst jetzt so richtig durch deinen Beitrag bewusst geworden. Danke.
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Danke für deine Eindrücke und Erfahrungen. Könnte es sein, dass mit einem Neubau ein Stück der „Seele des Ortes“ verloren geht? Wahrscheinlich ja – und genau dem will ich aber gleichzeitig vehement widersprechen. Denn dann ist es eben die Aufgabe, hier gestaltend einzugreifen, die Seele oder den Geist des Ortes wieder neu zur Geltung verhelfen. Das ist möglich und das ist machbar. Aber das ist halt wirklich eine Kunst.
Und es gibt ja auch Einiges an guten Ideen. Ich bin durch Zufall (wirklich, hatte nix mit diesem Blogbeitrag zu tun), auf diese wunderbare Firma gestoßen: http://www.naturundabenteuerschule.de/index.php . Das ist kein Spielgerätehersteller, sondern das sind Gestaltungskünstler http://www.naturundabenteuerschule.de/spielraeume/spiellandschaften.php . Allein schon die Ideen, die sie für U3-Außengelände haben, fantastisch: http://www.naturundabenteuerschule.de/u3/index.php
In meinem Artikel habe ich die Fragen der konkreten Gestaltung dann ja etwas verlassen. Weil mir darüber halt auffiel, dass es bestimmte Arten von Gestaltung gibt, die noch etwas Tieferes in sich tragen. Das kann etwas sehr Einfaches sein (etwas sehr Schlichtes) – aber genau das ist ja oft deutlich schwieriger.
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