Grenzarbeit

Vor Kurzem blieb ich an diesem Satz hängen:

„Gerade im Experimentieren mit Grenzen spiegelt sich das tiefe Bedürfnis nach Entwicklung […]“ (Marascha Daniela Heisig).

Gefunden habe ich den Satz in einem Buch über therapeutische Naturarbeit (S. 41). Ich konnte dem natürlich sofort zustimmen. Doch dann kam mir in den Sinn, dass bei Kinder gerne exakt das Gegenteil geraten wird: Kindern müssten Grenzen gesetzt werden! Weil sie das bräuchten und letztlich sogar einforderten. Und wer seinen Kindern keine setze, ziehe kleine Tyrannen heran oder könne sich schlicht nicht durchsetzen. Wer will das schon.

Kindern Grenzen zu setzen ist einer der populärsten Erziehungsratschläge. Und er ist so ein großer Quatsch. Das wurde mir noch einmal deutlich, als ich das obige Zitat gelesen habe.

Die Grenze ist der Ort der Entwicklung. Wenn ich mich entwickeln will oder Neues entdecken will, muss ich meinen gewohnten Bereich verlassen. Einleuchtend. Und für Kinder, die sich permanent entwickeln und Neues entdecken wollen, soll das nicht gelten? Schon schräg, oder?

Mir ist es wichtig, meine Kinder an ihren Grenzen zu begleiten – und zwar in dem ich sie in diesem sensiblen Bereich stütze und ermutige, bei Frustration tröste, vielleicht auch mal fordere und ganz sicher bei Gefahren schütze – aber nicht begrenze. Das bedeutet nicht, dass ich das gut kann. Aber das ist halt meine Aufgabe, die ich lernen muss.

Mir fällt auf, dass es eine Vielzahl von solchen Erziehungs-Plattitüden gibt, die vermeintlich plausibel erscheinen, aber oft das Gegenteil von dem darstellen, was ich selbst für mich wünsche. Und das Fiese daran ist, dass es immer wieder Momente gibt, in denen ich selbst diesen Ratschlägen anheim falle. Da kommt eine etwas stressigere Situation, und schon sind sie da, meine Law-and-Order-Fantasien und der Wunsch, jetzt aber mal ordentlich Grenzen zu setzen. Doch meine Wut, meine Genervtheit und meine nicht geäußerten Bedürfnisse kriege ich mit der Begrenzung meines Gegenübers nicht in den Griff. Es ist gut, sich das einzugestehen. Und für alles weitere, was man denn statt „Grenzen setzen“ Besseres tun kann, verlinke ich hier einen guten Artikel von Vivian Dittmar.

2 Kommentare zu „Grenzarbeit“

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