Worum geht’s eigentlich? (Protestantische Systemfehler, zweiter Teil)

Den Beitrag von gestern habe ich in einer guten halben Stunde runtergeschrieben. (Im Gegensatz zu fast allen anderen Posts hier auf dem Blog, an denen ich oft stunden- und tagelang sitze.) Daher will ich jetzt noch einmal ein paar Gedanken hinzufügen bzw. präzisieren.

Worum geht es (mir) eigentlich?

Erst einmal um den Effekt, dass auf Synoden in erster Linie Leute gewählt werden, die Rang und Namen, Amt und Mehrfachämter haben. Das ist der bekannte Matthäus-Effekt: Wer hat, dem wird gegeben (Mt. 25, 29). Man könnte jetzt natürlich die Hoffnung haben, dass Kirche hier anders funktioniere, aber das wäre naiv. Eine Synode ist eine Synode, eine Institution ist eine Institution. Horst Peter Pohl hat auf Facebook dazu etwas Lesenswertes geschrieben.

Besonders negativ von diesem Effekt sind Jüngere betroffen. Und an dieser Stelle wird es problematisch. Mir geht es dabei aber nicht darum, dass ich eine Lieblingsinteressensgruppe habe, die ich gerne „reingewählt“ (o.Ä.) hätte – so wie andere vielleicht gerne mehr Schlaue, mehr Behinderte, mehr Reiche, mehr Männer, mehr Frauen, mehr Dumme, mehr Alte, mehr Grünäuge oder Rothaarige „reingewählt“ sehen würden. Mir scheint – und das ist das Problem! – dass es keine Prinzipien oder Modi gibt, die die beiden folgenden Dinge brücksichtigen:

  • Wie kommt Neues ins System rein?
  • Wie gelingt es dem System, die Grundlagen für zukünftiges Bestehen (Weiterleben) zu entwickeln? (Und hier bitte Obacht! Ich meine damit nicht, wie sich die bestehenden Strukturen selbst erhalten, das leistet ein Sytstem ganz von allein).

Die Nicht-Wahl des einzigen U40-Kandidaten bei der EKD-Ratswahl macht die Relevanz dieser beiden Fragen deutlich. Darum geht es mir. Der Synodenbetrieb zeigt einfach, dass er für diese beiden Aspekte nicht so gut geeignet ist.

Die erste Frage möchte ich hier nicht weiter erörtern. Der Innovationsdiskurs ist breit und bunt, hier gibt es viel Gutes zu entdecken, zum Beispiel hat Gunter Dueck dazu Wichtiges gesagt. Innerhalb der Kirche verfolgt die freshX-Bewegung dieses Thema mit viel Energie und Wums und auch die Emergent-Bewegung finde ich diesbzüglich attraktiv und klug. Und wer in der Kölner Region wohnt, kann von mir gerne für den 17. März 2016 eine Einladung zum Gemeindelaboratorium mit dem Thema „Theorie U“ bekommen (eine Veranstaltung vom GMD der EKiR und der Melanchthon-Akademie).

Der zweite Punkt ist mir hier wichtig: Um die Grundlagen für ein gutes Weiterleben zu erhalten bzw. um neue zu schaffen, muss man sich mit dem Thema Generativität befassen. (Und, ganz wichtig: auch mit dem Thema Nachhaltigkeit – aber das würde an dieser Stelle noch einmal ein ganz neues Fass aufmachen). Wie sichert die Kirche ihre Generativität? Lange Zeit wurde dieses Thema nur von „den Missionarischen“ in der Kiche gepflegt. Leider oft mit Habitus und Stoßrichtung, die ich etwas merkwürdig fand. Aber hier ist gerade viel im Umbruch. Wie bekommt die Kirche genügend Nachwuchs? Also: Menschen, die sich bewusst und gerne in diese Tradition stellen? Menschen, die sich engagieren? Hauptamtliche, die professionelle Aufgaben übernehmen wollen? Genügend Ressourcen, die aus sich selbst heraus wachsen (ah, jetzt bin ich doch beim Thema Nachhaltigkeit angekommen) und so weiter und so weiter.

Und jetzt sind wir an einer entscheidenden Stelle. Es geht nicht darum, dass „die Jugendlichen“ sich in „der Kirche“ wohlfühlen. Es geht auch nicht in erster Linie darum, „den jungen Leuten das Gefühl [zu] geben, dass sie, ja, ihre Kirche mitgestalten können“, so wie es Irmgard Schwaetzer auf der Pressekonferenz nach der Ratswahl sagte. Die Perspektive dabei ist nämlich: Die Kirche gesteht den „jungen Leuten“ etwas zu. So wie eine Jugendgruppe im Gemeindehaus mal einen Raum bunt streichen darf, weil die jungen Leute ja so gerne auf crazy-bunt stehen.

Es ist genau anders rum! Die Kirche braucht ihre eigene Nachfolgegenerationen (an Leuten, an Ressourcen, an Ideen), um weiter existieren zu können. Bezogen auf „jüngere Leute“ heißt das zum Beispiel: Wir brauchen eure neuen Erfahrungen mit der Welt und dem Leben (und dem Universium und dem ganzen Rest), damit wir alle weitergehen können. Glauben kann man immer nur erfahrungsbezogen, kontextualisiert. Es gibt keinen christlichen Glauben an und für sich. Es gibt nur Menschen, die (etwas) glauben. In ihrem Kontext. Her mit den Kontexten! (By the way: Und ganz genau das hat Ingo Dachwitz in seiner Vorstellung gesagt!).

Ist das verständlich, was ich schreibe?

Also: Wie kann Generativität gelingen? Das Schöne daran ist, dass das eigentlich ein durch und durch spirituelles Thema ist.

Zum Abschluss noch eine einfache Idee, die zwar nicht spirituell, dafür aber ambitioniert ist: Bei der Besetzung der EKD-Synode (oder welche Synode auch immer) gibt es eine Fifty-Fifty-Klausel: Die Hälfte ihrer Mitglieder ist U40, die andere Hälfte Ü40. Dabei habe ich mich an der statistischen Lebenserwartung (grob gerundet) orientiert. Das Mindestalter liegt bei 14. Wie wär’s? Ja, und was machen wir, wenn wir die Plätze dann gar nicht besetzen können? Dann haben wir zumindest das Problem erkannt.

Alle anderen Ideen gibt’s nur gegen Beratervertrag.

5 Kommentare zu „Worum geht’s eigentlich? (Protestantische Systemfehler, zweiter Teil)“

  1. Lieber Martin, danke für deinen Beitrag zum Thema „Junge Menschen und Kirche“! Da ich die NGO-Welt gut kenne, bin ich bei näherer Beschäftigung mit der EKD überrascht, wie stark institutionell geprägt die Ansprache von jungen Leuten, aber auch allgemein von potenziellen „Nachfolgern“ der Kirche ist. Organisationen, die sich bei Fundraising & Co. immer wieder neu überlegen müssen, wie sie überzeugen, agieren da einfach anders. Deshalb ist meine These: Innovationsdruck in der Kirche muss aus einem inneren Bedürfnis heraus entstehen – und dafür braucht es die richtigen Rahmenbedingungen. Sehr gern würde ich darüber weiter mit euch diskutieren, vielleicht sogar wirklich beim genannten Laboratorium in Köln? Viele Grüße von Maike (im Namen von Wigwam derzeit beratend für die EKD tätig)

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    1. liebe maike, vielen dank für deinen kommentar! lass uns doch mal kontakten. auf jedenfall bekommst du schon mal eine gemeindelab-einladung! (die vorbereitungen dauern aber noch ein kleines bisserl). lg, martin

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